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Wurzeln für die Zukunft

21 November 2022

Neben meinem Zimmer befand sich der Raum meines Bruders, in dem stets Chaos und Unordnung herrschten, so dass meine Mutter in ihrer Verzweiflung einen kleinen Zettel an die Tür geheftet hatte, auf dem zu lesen war: „Ein unaufgeräumtes Kinderzimmer ist eine Baustelle des Lebens″... Das berühmte Zitat des französischen Schriftstellers Daniel Pennac sollte meinen Bruder dazu ermutigen, seinen häuslichen Bereich besser in Ordnung zu halten und mit der Zeit verantwortungsbewusster zu werden.

Vaia war ein furchtbares Unwetter, eine schreckliche Naturkatastrophe, die innerhalb weniger Minuten in mehreren Dolomitentälern Chaos und Angst verbreitete und die Landschaft zerstörte. Die Sturmböen vernichteten alles, was ihnen in die Quere kam. Erschwerend kam dazu, dass das Gewitter im Herbst ausbrach, wenn es früh dunkel wird, so dass selbst die Fachleute das Ausmaß des Unglücks nicht sofort abschätzen konnten. Sturm, ohrenbetäubender Lärm, ein allgemeines Krachen und Brechen, dann Stille. Vaia verwüstete Dörfer und viele Waldhänge, darunter auch das Schutzgebiet des Naturparks Paneveggio im Trentino. Nachdem sie der anfängliche Schock überwunden, der Schaden beziffert und die Ressourcen neu organisiert worden waren, ergab sich aus der Notlage der dringende Wunsch und die zwingende Notwendigkeit, „die Dinge in Ordnung zu bringen″.

Viele großzügige, selbstlose Menschen setzen sich mit großem Engagement für die Wiederherstellung und vor allem die Aufwertung dieses Waldgebiets ein, das eine Ressource für uns alle und ein wertvolles Ökosystem für die Zukunft ist. Dank der Zusammenarbeit von Dolomite 1897 und Trentino Tree Agreement ist ein schönes Projekt entstanden, bei dem man die Ärmel hochkrempeln muss, aber ganz mit dem Herzen dabei ist. In den ausgewählten Gebieten werden nach einer genauen Logik verschiedene Baumarten in eingezäunten Bereichen gepflanzt, um einen Wald mit mehr biologischer Vielfalt zu schaffen, der extremen Naturereignissen besser standhalten kann. Zirbelkiefern, Lärchen und Fichten lassen eine Diversität entstehen, deren Elemente sich gegenseitig mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften unterstützen. Viele unterschiedliche Bäume im gleichen Gebiet, die zwar verschiedene Sprachen sprechen, aber lernen, sich zu verständigen, um in den Bergen und oberhalb der Alpendörfer gemeinsam als starke Verbündete den Unbilden zu widerstehen.

Wer die Natur „besucht″, muss lernen, sich zu orientieren und die Landschaft aufmerksam zu betrachten. In diesem Fall sieht man ein zerstörtes und verwundetes Gebiet, das nur von der langsamen Natur wiederbelebt werden kann. Anfangs nimmt man vor allem den bitteren Beigeschmack des Unglücks wahr, der aber von dem herrlichen Panorama abgelöst wird, wenn man vertrauensvoll in die Zukunft blickt und bereit ist, einen Beitrag zu leisten.

Dann der Duft, den nur der Wald in seiner Vielfalt während der verschiedenen Jahreszeiten vermitteln kann: Blätter, Nadeln, Tannenzapfen und Pilze. Setzen Sie sich still unter einen Baum und lauschen Sie dem Atem des Waldes: Die Stämme knacken und berühren sich, die Äste dehnen sich aus, und die Tiere verfolgen sich gegenseitig. Und schließlich der Geschmack  denn man kommt wirklich auf den Geschmack, wenn man Bäume pflanzt, fragen Sie mal die Jungs von Dolomite!

Man kann nicht nur abschalten und den Alltag hinter sich lassen, sondern auch wunderbar träumen und zum Beispiel überlegen, ob der jeweilige Baum wirklich so groß und schön sein wird wie die anderen. Man träumt, aber mit beiden Füßen fest auf dem Boden  in den richtigen Schuhen  und man blickt auf diesen verletzten Abhang, der mit Wurzeln, Baumstümpfen und Erde bedeckt ist. Im Osten sieht man die Palagruppe, die hinter einem grünen Nadelbaum aufragt, und weiter südlich die Lagorai mit ihrem dunkelvioletten Felsgestein vulkanischen Ursprungs.

Graben Sie ein kleines Loch, suchen Sie ein Bäumchen aus, setzen Sie es vorsichtig hinein, drücken Sie die Erde zuerst mit den Händen an und dann vorsichtig mit den Füßen. Eine einfache Geste, die zusammen mit den Freunden oder Kolleg*innen noch mehr Spaß macht, denn eine gemeinsame Unternehmung bringt bekanntlich die doppelte Freude. Dann möchte man gar nicht mehr weg, sondern den kleinen Baum streicheln, ihm viel Glück wünschen und die Aussicht genießen. Wer weiß, was ihn erwartet. Hoffentlich können wir ihn wieder besuchen, wenn er gewachsen ist, und ihn vielleicht ein bisschen verwöhnen.

Die Zeit hat auch meinem Bruder Recht gegeben. Umgeben von seinem täglichen Chaos wurde er ein ordentlicher, hübscher Junge, groß und kräftig wie ein Baum mit einer zerzausten Lockenmähne. So oft er kann, verlässt er die Stadt, um sich in den Wald zu flüchten, wandert glücklich inmitten der Bäume, steigt hinauf zu den Gipfeln und versucht sich zu erinnern, welches Tier er als Kind gerne gewesen wäre: eine flinke Gämse, ein schläfriges Murmeltier oder ein Steinadler mit scharfem Sehvermögen? Für uns kleine Entdecker war alles ein Spiel, und heute bleibt uns Erwachsenen der Wald, auch wenn sich die Perspektive geändert hat: Er ist ein schützenswerter Freiraum für alle Altersgruppen, ein wertvoller Schatz für die ganze Gemeinschaft, und aus diesem Grund müssen wir uns jeden Tag um ihn kümmern.

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Trentino Tree Agreement